Prosa-Edda - Skaldskäparmal - Fahrt nach Geirrödsgard
Skaldskäparmal - Fahrt nach Geirrödsgard
60. Fahrt nach Geirrödsgard
Es verdient gar sehr erzählt zu werden, wie Thor nach Geirrödsgard fuhr,
denn da hatte er weder den Hammer Miölnir, noch den Stärkegürtel, noch die
Eisenhandschuhe bei sich, woran Loki schuld war, der ihn begleitete. Denn dem
Loki war es einstmals begegnet, als er zu seiner Kurzweil mit Friggs Falkenhemd
ausflog, daß er aus Neugierde nach Geirrödsgard flog, wo er eine große Halle
sah. Da ließ er sich nieder und sah ins Fenster. Aber Geirröd erblickte ihn und
befahl, den Vogel zu greifen und ihm zu bringen. Der Ausgesandte gelangte mit
Not die Hallenwand hinan, so hoch war sie. Loki ergötzte sich daran, wie jener
ihm so mühsam nachstrebte, und dachte, es sei noch früh genug für ihn,
aufzufliegen, wenn der Mann das Beschwerlichste überstanden habe. Als dieser nun
nach ihm langte, da schlug er die Flügel und spreizte die Füße; aber diese
hingen fest. Da wurde Loki ergriffen und dem Riesen Geirröd ge bracht. Als der
ihm in die Augen sah, da ahnte ihm, daß es ein Mann sein möge, und gebot ihm,
Rede zu stehen; aber Loki schwieg. Da schloß ihn Geirröd in eine Kiste und ließ
ihn da drei Monate hungern. Und als ihn Geirröd herausnahm und reden hieß,
gestand Loki, wer er sei und löste sein Leben damit, daß er dem Geirröd schwur,
den Thor nach Geirrödsgard zu bringen, ohne daß er den Hammer und den
Stärkegürtel hätte.
Unterwegs nahm Thor Herberge bei einem Riesenweib, das Grid hieß. Sie war die
Mutter Widars, des Schweigsamen. Sie sagte dem Thor die Wahrheit von Geirröd, er
sei ein hundweiser und übel umgänglicher Jötun. Auch lieh sie ihm ihre eigenen
Stärkegürtel und Eisenhandschuhe und ihren Stab, Gridarwöl genannt. Da fuhr Thor
zu dem Fluß, der Wimur hieß, dem größten aller Flüsse. Da um spannte er sich mit
den Stärkegürteln und stemmte Grids Stab gegen die Strömung; Loki aber hielt
sich unten am Gurt. Als nun Thor mitten in den Fluß kam, da wuchs dieser so
stark an, daß er ihm bis an die Schulter stieg. Da sprach Thor:
Wachse nicht, Wimur, nun ich waten muß
Hin zu des Joten Hause.
Wisse, wenn du wächsest, wächst mir die Asenkraft
Ebenhoch dem Himmel.
Da sah Thor in eine Bergkluft hinauf, daß da Gialp, Geirröds Tochter, quer über
dem Strome stand und dessen Wachsen verursachte. Da nahm Thor einen großen Stein
aus dem Fluß auf und warf nach ihr, indem er sprach: Bei der Quelle muß man den
Strom stauen. Sein Wurf pflegte sein Ziel nicht zu verfehlen. In demselben Augen
blick nahte er sich dem Land, ergriff einen Sperberbaumstrauch und stieg aus dem
Fluß: daher das Sprichwort, der Sperberbaum sei Thors Rettung.
Als nun Thor zu Geirröd kam; wurden die Reisegefährten zuerst in das Gästehaus
gewiesen. Da war nur ein Stuhl zum Sitzen, auf den setzte sich Thor. Nun wurde
er gewahr, daß der Stuhl unter ihm sich gegen die Decke hob. Da stieß er mit
Grids Stab gegen das Sparrwerk und drückte sich auf den Stuhl hinab. Alsbald
entstand großes Gekrach und folgte lautes Geschrei. Unter dem Stuhle waren Geirröds
Töchter Gialp und Gneip gewesen und beiden hatte er den Rücken zerbrochen.
Da sprach Thor:
Einstmals übt ich die Asenstärke
In des Joten Hause,
Da Gialp und Gneip, Geirröds Töchter,
Mich zum Himmel hoben.
Da ließ Geirröd den Thor in die Halle zu den Spielen rufen. Da waren große Feuer der ganzen Länge der Halle nach. Und als Thor in der Halle dem Geirröd gegenüber stand, da faßte Geirröd mit der Zange einen glühenden Eisenkeil und warf ihn nach Thor. Aber Thor fing ihn mit den Eisenhandschuhen in der Luft auf. Geirröd sprang hinter eine Eisensäule, sich zu wahren. Aber Thor warf den Keil, daß er durch die Säule fuhr, durch Geirröd, durch die Wand und draußen noch in die Erde.
Die Snorri Edda in der Übersetzung von Karl Simrock.
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