Prosa-Edda - Gylfaginning Gylfis Täuschung - 49-50
Gylfaginning Gylfis Täuschung - 49-50
Da fragte Gangleri: Haben sich noch andere Abenteuer mit den Asen ereignet?
Eine gewaltige Heldentat hat Thor auf dieser Fahrt verrichtet. Har antwortete:
Es mag noch von Abenteuern berichtet werden, die den Asen bedeutender scheinen.
Und das ist der Anfang dieser Sage, daß Baldur, der gute, schwere Träume
träumte, die seinem Leben Gefahr deuten. Und als er den Asen seine Träume sagte,
pflogen sie Rat zusammen und beschlossen, dem Baldur Sicherheit vor allen
Gefahren auszuwirken. Da nahm Frigg Eide von Feuer und Wasser, Eisen und allen
Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen, Krankheiten und Giften, dazu von allen
vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern, daß sie Baldurs schonen wollten. Als das
geschehen und allen bekannt war, da kurzweilten die Asen mit Baldur, daß er sich
mitten in den Kreis stellte und einige nach ihm schossen, andere nach ihm hieben
und noch andere mit Steinen warfen. Und was sie auch taten, es schadete ihm
nicht; das dünkte sie alle ein großer Vorteil. Aber als Loki, Laufeyjas Sohn,
das sah, da gefiel es ihm übel, daß den Baldur nichts verletzen sollte. Da ging
er zu Frigg nach Fensal in Gestalt eines alten Weibes. Da fragte Frigg die Frau,
ob sie wüßte, was die Asen in ihrer Versammlung vornähmen. Die Frau antwortete:
sie schossen alle nach Baldur; ihm aber schadete nichts. Da sprach Frigg: Weder
Waffen noch Bäume mögen Baldur schaden: ich habe von allen Eide genommen. Da
fragte das Weib: Haben alle Dinge Eide geschworen, Baldurs zu schonen? Frigg
antwortete: östlich von Walhall wächst eine Staude, Mistel genannt, die schien
mir zu jung, sie in Eid zu nehmen. Darauf ging die Frau fort; Loki nahm den
Mistelzweig, riß ihn aus und ging zur Versammlung. Hödur stand zuäußerst im
Kreise der Männer, denn er war blind. Da sprach Loki zu ihm, warum schießt du
nicht nach Baldur? Er antwortete: Weil ich nicht sehe, wo Baldur steht; zum
anderen hab ich auch keine Waffe. Da sprach Loki: Tu doch wie andere Männer und
biete Baldur Ehre wie alle tun. Ich will dich dahin weisen wo er steht: so
schieße nach ihm mit diesem Reis. Hödur nahm den Mistelzweig und schoß nach
Baldur nach Lokis Anweisung. Der Schuß flog und durchbohrte ihn, daß er tot zur
Erde fiel, und das war das größte Unglück, das Menschen und Götter betraf. Als
Baldur gefallen war, standen die Asen alle wie sprachlos und gedachten nicht
einmal, ihn aufzuheben. Einer sah den anderen an; ihr aller Gedanke war wider
den gerichtet, der diese Tat vollbracht hatte; aber sie durften es nicht rächen:
es war an einer heiligen Freistätte. Als aber die Asen die Sprache wieder
erlangten, da war das erste, daß sie so heftig zu weinen anfingen, daß keiner
mit Worten dem anderen seinen Gram sagen mochte. Und Odin nahm sich den Schaden
um so mehr zu Herzen als niemand so gut wüßte als er, zu wie großem Verlust und
Verfall den Asen Baldurs Ende gereichte. Als nun die Asen sich erholt hatten, da
sprach Frigg und fragte, wer unter den Asen ihre Gunst und Huld gewinnen und den
Helweg reiten wolle, um zu versuchen ob er da Baldur fände, und der Hel Lösegeld
zu bieten, daß sie Baldur heimfahren ließe gen Asgard.
Und er hieß Hermod, der schnelle, Odins Sohn, der diese Fahrt übernahm. Da ward
Sleipnir, Odins Hengst, genommen und vorgeführt, Hermod bestieg ihn und stob
davon. Da nahmen die Asen Baldurs Leiche und brachten sie zur See. Hringhorni
hieß Baldurs Schiff, es war aller Schiffe größtes. Das wollten die Götter vom
Strande stoßen und Baldurs Leiche darauf verbrennen; aber das Schiff ging nicht
von der Stelle. Da wurde gen Jötunheim nach dem Riesenweib gesendet, die
Hyrrockin hieß, und als sie kam, ritt sie einen Wolf, der mit einer Schlange
gezäumt war. Als sie vom Rosse gesprungen war, rief Odin vier Berserker herbei,
es zu halten; aber sie vermochten es nicht anders als indem sie es niederwarfen.
Da trat Hyrrockin an das Vorderteil des Schiffes und hieß es im ersten Anfassen
vor, daß Feuer aus den Walzen fuhr und alle Lande zitterten. Da ward Thor zornig
und griff nach dem Hammer und würde ihr das Haupt zerschmettert haben, wenn ihr
nicht alle Götter Frieden erbeten hätten. Da wurde Baldurs Leiche hinaus auf das
Schiff getragen und als sein Weib Nanna, Neps Tochter, das sah, da zersprang sie
vor Jammer und starb. Da wurde sie auf den Scheiterhaufen gebracht und Feuer
darunter gezündet, und Thor trat hinzu und weihte den Scheiterhaufen mit
Miölnir, und vor seinen Füßen lief der Zwerg, der Lit hieß, und Thor stieß mit
dem Fuß nach ihm und warf ihn ins Feuer, daß er verbrannte. Und diesem
Leichenbrand wohnten vielerlei Gäste bei: zuerst ist Odin zu nennen, und mit ihm
fuhr Frigg und die Walküren und Odins Raben, und Freyr fuhr im Wagen und hatte
den Eber vorgespannt, der Gullinbursti hieß oder Slidrugtanni. Heimdall ritt den
Hengst Gulltopp und Freyja fuhr mit ihren Katzen. Auch kam eine große Menge
Hrimthursen und Bergriesen. Odin legte auf den Scheiterhaufen den Ring, der
Draupnir hieß, der seitdem die Eigenschaft gewann, daß jede neunte Nacht acht
gleich schöne Goldringe von ihm tropften. Baldurs Hengst wurde mit allem
Geschirr zum Scheiterhaufen geführt. Von Hermod aber ist zu sagen, daß er neun
Nächte tiefe dunkle "Täler ritt, so daß er nichts sah, bis er zum Giöllflusse
kam und über die Giöllbrücke ritt, die mit glänzendem Gold belegt ist. Modgud
heißt die Jungfrau, welche die Brücke bewacht: die fragte ihn nach Namen und
Geschlecht und sagte, gestern seien fünf Haufen toter Männer über die Brücke
geritten, "und nicht donnert sie jetzt minder unter dir allein, und nicht hast
du die Farbe toter Männer: warum reitest du den Helweg?" Er antwortete: Ich soll
zu Hel reiten, Baldur zu suchen. Hast du vielleicht Baldur auf dem Helweg
gesehen? Da sagte sie: Baldur sei über die Giöllbrücke geritten; "aber nördlich
geht der Weg hinab zu Hel." Da ritt Hermod dahin, bis er an das Helgitter kam:
da sprang er vom Pferd und gürtete es fester, stieg wieder auf und gab ihm die
Sporen: da setzte der Hengst so mächtig über das Gitter, daß er es nirgends
berührte. Da ritt Hermod auf die Halle zu, stieg vom Pferd und trat in die
Halle. Da sah er seinen Bruder Baldur auf dem Ehrenplatze sitzen. Hermod blieb
dort die Nacht über. Aber am Morgen verlangte Hermod von Hel, daß Baldur mit ihm
heim reiten solle, und sagte, welche Trauer um ihn bei den Asen sei. Aber Hel
sagte, das solle sich nun erproben, ob Baldur so allgemein geliebt werde als man
sage. "Und wenn alle Dinge in der Welt, lebendige sowohl als tote, ihn beweinen,
so soll er zurück zu den Asen fahren; aber bei Hel bleiben, wenn eins
widerspricht und nicht weinen will." Da stand Hermod auf und Baldur geleitete
ihn aus der Halle und nahm den Ring Draupnir und sandte ihn Odin zum Andenken,
und Nanna sandte der Frigg einen Überwurf und noch andere Gaben, und der Fulla
einen Goldring. Da ritt Hermod seines Weges zurück und kam nach Asgard und sagte
alle Dinge, die er da gehört und gesehen hatte. Danach sandten die Asen Boten in
alle Welt und geboten. Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Alle taten das,
Menschen und Tiere, Erde, Steine, Bäume und alle Erze; wie du schon gesehen
haben wirst, daß diese Dinge weinen, wenn sie aus dem Frost in die Wärme kommen.
Als die Gesandten heimfuhren und ihr Gewerbe wohl vollbracht hatten, fanden sie
in einer Höhle ein Riesenweib sitzen, das Thöck (Dock, Dunkel) genannt wurde.
Die baten sie auch, den Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Sie antwortete:
Thöck muß weinen mit trocknen Augen
Über Baldurs Ende.
Nicht im Leben noch im Tod hatt ich Nutzen von ihm:
Behalte Hel was sie hat.
Man meint, daß dies Loki, Laufeyjas Sohn, gewesen sei, der den Asen so viel Leid
zugefügt hatte.
Da sprach Gangleri: Viel Arges wahrlich hatte Loki zu Wege gebracht, da er
erst verursachte, daß Baldur erschlagen wurde, und dann schuld war, daß er nicht
erlöst ward aus Hels Gewalt. Aber wurde das nicht irgendwie an ihm geahnt? Har
antwortete: Es ward ihm so vergolten, daß er lange daran denken wird. Als die
Götter so wider ihn aufgebracht waren, wie man erwarten mag, lief er fort und
barg sich in einem Berge. Da machte er sich ein Haus mit vier Türen, daß er aus
dem Hause nach allen Seiten sehen konnte. Oft am Tag verwandelte er sich in
Lachsgestalt und barg sich in dem Wasserfall, der Franang hieß, und bedachte bei
sich, welches Kunststück die Asen wohl erfinden könnten, ihn in dem Wasserfall
zu fangen. Und einst, als er daheim saß, nahm er Flachsgarn und verflocht es zu
Maschen, wie man seitdem Netze macht. Dabei brannte Feuer vor ihm. Da sah er,
daß die Asen nicht weit von ihm waren, denn Odin hatte von Hlidskialfs Höhe
seinen Aufenthalt erspäht. Da sprang er schnell auf und hinaus ins Wasser,
nachdem er das Netz ins Feuer geworfen hatte. Und als die Asen zu dem Haus
kamen, da ging er zuerst hinein, der von allen der Weiseste war und Kwasir hieß,
und als er im Feuer die Asche sah, wo das Netz gebrannt hatte, da merkte er, daß
dies ein Mittel sein sollte, Fische zu fangen, und sagte das den Asen. Da fingen
sie an und machten ein Netz jenem nach, das Loki gemacht hatte, wie sie in der
Asche sahen. Und als das Netz fertig war, gingen sie zu dem Fluß und warfen das
Netz in den Wasserfall. Thor hielt das eine Ende, das andere die übrigen Asen,
und nun zogen sie das Netz. Aber Loki schwamm voran und legte sich am Boden
zwischen zwei Steine, so daß das Netz über ihn hinweggezogen wurde, doch merkten
sie wohl, daß etwas Lebendiges vorhanden sei. Da gingen sie abermals an den
Wasserfall und warfen das Netz aus, nachdem sie etwas so Schweres daran gebunden
hatten, daß nichts unten durchschlüpfen mochte. Loki fuhr vor dem Netze her und
als er sah, daß es nicht weit von der See sei, da sprang er über das
ausgespannte Netz und lief zurück in den Fall. Nun sahen die Asen, wo er
geblieben war: da gingen sie wieder an den Wasserfall und teilten sich in zwei
Haufen nach den beiden Ufern des Flusses. Thor aber mitten im Fluß watend folgte
ihnen bis an die See. Loki hatte nun die Wahl, entweder mit Lebensgefahr nach
der See zu ziehen oder abermals über das Netz zu springen. Er tat das letzte und
sprang schnell über das ausgespannte Netz. Thor griff nach ihm und kriegte ihn
in der Mitte zu fassen; aber er glitt ihm in der Hand, so daß er ihn erst am
Schwanz wieder festhalten konnte. Darum ist der Lachs hinten spitz. Nun war Loki
friedlos gefangen. Sie brachten ihn in eine Höhle und nahmen drei lange
Felsenstücke, stellten sie auf die schmale Kante und schlugen ein Loch in jedes.
Dann wurden Lokis Söhne, Wali und Nari oder Narwi, gefangen. Den Wali
verwandelten die Asen in Wolfsgestalt: da zerriß er seinen Bruder Narwi. Da
nahmen die Asen seine Därme und banden den Loki damit über die drei Felsen: der
eine stand ihm unter den Schultern, der andere unter den Lenden, der dritte
unter den Kniegelenken; die Bänder aber wurden zu Eisen. Da nahm Skadi einen
Giftwurm und befestigte ihn über ihm, damit das Gift aus dem Wurm ihm ins
Antlitz träufelte. Und Sigyn, sein Weib, steht neben ihm und hält ein Becken
unter die Gifttropfen. Und wenn die Schale voll ist, da geht sie und gießt das
Gift aus; derweil aber tropft ihm das Gift ins Angesicht, wogegen er sich so
heftig sträubt, daß die ganze Erde schüttelt, und das ist es, was man Erdbeben
nennt. Dort liegt er in Banden bis zur Götterdämmerung.
Die Snorri Edda in der Übersetzung von Karl Simrock.
Asatru Ring Midgard - www.asatruringfrankfurt.de - Aufgeklärtes Asatru
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